PJM: Schweizer Pilotprojekt gestartet
Dieser automatisierte Güterzug ist mit einer automatischen Kupplung inklusive digitaler Datenleitung ausgerüstet. Während eines Jahres stehen nun verschiedene automatisierte Funktionen auf dem Prüfstand.
Digitalisierung und Automatisierung machen den Schienengüterverkehr intelligent. Heute erfolgen die Prozesse im Schienengüterverkehr weitgehend manuell. Dies betrifft verschiedenste Bereiche. So prüfen Mitarbeitende vor jeder Abfahrt eines Zuges manuell jede einzelne Bremse. Auch das Kuppeln ist eine schwere körperliche Arbeit, die bei Wind und Wetter draussen ausgeführt wird. Und unterwegs ist das Lokpersonal teilweise «blind»: so gibt es beispielsweise keine Möglichkeit vom Führerstand aus zu prüfen, ob der Zug noch komplett ist. Solche Tätigkeiten tragen zum aktuellen Personalmangel bei. Das Berufsbild ist längst veraltet. Ausserdem ist der Rückstand in der Modernisierung beim Schienengüterverkehr im Vergleich zur Strasse gross. Höchste Zeit also, auch den Güterverkehr auf der Schiene voranzutreiben und so dessen Attraktivität im Markt zu erhöhen.
Digitalisierung macht Güterverkehr per Bahn attraktiver
Dazu hat ein internationales Konsortium bestehend aus SBB Cargo, Hochschule Luzern (HSLU), den Unternehmen PJM, plc-tec und Voith mit Unterstützung des Bundesamtes für Verkehr (BAV) vor einem Jahr ein Pilotprojekt aufgesetzt. Damit wollen die Beteiligten die Automatisierung und Digitalisierung im Schienengüterverkehr und somit unter anderem den Ein-Personen-Betrieb vorantreiben. Kernstück ist der vor kurzem lancierte digitale Pilotzug «DAC+».
Seit über drei Jahren ist die automatische Kupplung CargoFlex von Voith mit mechanischer und pneumatischer Verbindung bereits bei SBB Cargo im kommerziellen Einsatz. Nun steht die digitale automatische Kupplung mit zusätzlicher Strom- und Datenverbindung über den ganzen Zugverband im Fokus.
Nationales Projekt mit europaweitem Einfluss
Die Entwicklung und Einführung der digitalen automatischen Kupplung wird auf europäischer Ebene durch mehrere Initiativen und in Entwicklungsprojekten vorangetrieben. Federführend dabei sind das «Europe’s Rail Joint Undertaking» (ERJU), das «European DAC Delivery Programme» (EDDP) und das Konsortium «DAC4EU». Ebenso zentral für den Erfolg des Projektes sind die nationalen Initiativen. In verschiedenen Ländern laufen aktuell Projekte zur Erprobung und Weiterentwicklung der digitalen automatischen Kupplung.
Der Entscheid für einen einheitlichen Typ des Kupplungskopfes hat das EDDP bereits im Herbst 2021 getroffen. SBB Cargo hat Pionierarbeit geleistet und wesentlich dazu beigetragen: Das Unternehmen hat den ausgewählten Scharfenberg-Kupplungskopf in den vorhergehenden Jahren gemeinsam mit Voith getestet, weiterentwickelt und als einziger Bahnbetreiber in Europa bereits in Betrieb genommen. Die ersten Waggons wurden 2019 umgerüstet. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die bei SBB Cargo gewonnenen Erfahrungen in die europäischen Spezifikationen, Normen und Standards einfliessen.
Nun geht es auf europäischer Ebene darum, die Technologie für die Datenübertragung zu definieren.
DAC+: Datenübertragung via Stromleitung
Für die Energie- und Datenkopplung gibt es derzeit verschiedene Technologien.
Die Lösungen, die Systemarchitektur des Zuges und die Teilsysteme im Projekt DAC+ basieren auf den bisherigen Ergebnissen des EDDP und des Konsortiums DAC4EU sowie auf den Vorarbeiten von SBB Cargo zur automatischen Kupplung und deren Implementierung.
Eine dieser Technologien ist die Datenverbindung «Powerline PLUS Train Backbone» (PTB), die alle Waggons und die Lokomotive(n) über die DAC verbindet. Powerline PLUS ist eine drahtgebundene Kommunikations-Technologie, die von plc-tec und deren Forschungspartner HSLU entwickelt wurde. Hauptvorteil ist, dass die Daten über die Stromkabel und -stecker übertragen werden, sodass keine zusätzlichen Datenkabel, elektrischen Kontakte oder Stecker benötigt werden.
Die zweite Technologie ist Single-Pair-Ethernet (SPE), die die Daten nicht über die Strom-, sondern über separate Datenleitungen und zusätzliche elektrische Kontakte in der DAC überträgt. Eine für den Güterverkehr optimierte SPE-Lösung befindet sich aktuell noch in Entwicklung. Sobald sie verfügbar ist, sollen die beiden Technologien in einem spezifischen Testprogramm bezüglich verschiedener Kriterien verglichen werden.
Der automatisierte Güterzug
Die digitale Datenleitung in der DAC ermöglicht die Realisierung verschiedener automatischer Applikationen in einem Güterzug. Ist die digitale Verbindung zwischen den Wagen einmal hergestellt und sind die Wagen mit der entsprechenden Elektronik ausgerüstet, können eine Reihe von Use Cases realisiert werden, zum Beispiel:
- automatische Erfassung der Wagenreihung und der Richtung der einzelnen Wagen
- automatische Bremsprobe
- verschiedene Daten- und Kommunikationsdienste auf dem Zug, die unter anderem die Zugintegrität während einer Fahrt überwachen
- intelligentes Energiemanagementsystem
- elektropneumatisches Bremssystem
- ferngesteuertes Entkuppeln der Waggons von der Lokomotive aus
- zustandsabhängige/vorausschauende Wartung
Solche automatisierten oder ferngesteuerten Zugfunktionen tragen erheblich zur Prozessoptimierung und damit zu Zeiteinsparungen bei. Ebenso ermöglichen sie eine höhere Effizienz bei den Prozessen der Zugbildung und des Betriebs.
Das Testprogramm: Zugfunktionen auf dem Prüfstand
Das Testprogramm mit dem Pilotzug DAC+ umfasst Stillstandstests des Zuges, Zugfahrten und Rangierarbeiten. Der Pilotzug besteht aus 6 Containerwagen als Testwagen und einem gedeckten Wagen als emulierter Lokomotive und zur Integration der Stromversorgung sowie der Test- und Messgeräte für die anderen Wagen.
Mit diesem Testzug werden die oben genannten automatischen Applikationen bis auf das elektropneumatische Bremssystem getestet.
Die Tests finden an verschiedenen Standorten sowie unterwegs in der ganzen Schweiz bis Ende 2023 statt. Die Ergebnisse des Projekts fliessen auf europäischer Ebene in die Weiterentwicklung der DAC ein. Der Pilotzug leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Zukunft des Schienengüterverkehrs und zur europaweiten Einführung der digitalen automatischen Kupplung. Denn grundsätzlich kann auf der Schiene das wachsende Gütervolumen nachhaltig bewältigt werden – vorausgesetzt, der Schienengüterverkehr wird modernisiert. Diese Chance gilt es nun zu packen.
www.pjm.co.at
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